Predigt von Bischof Bertram Meier am 15.08.2023 in Höchstadt an der Donau

In Höchstädt steht der Himmel offen: Jugend bewegt die Kirche

Liebe Schwestern und Brüder in Christus!

Noch immer bin ich bewegt vom Weltjugendtag in Lissabon. Aus unserem Bistum waren über 600 Jugendliche dabei: eine stolze Gruppe angesichts der 7000 Teilnehmer aus Deutschland und doch klein gegenüber den Hunderttausenden junger Leute, die aus der ganzen Welt zusammenkamen, um den Glauben zu feiern. Die Jugend war in Bewegung. Die Jugend bewegt die Kirche. Die Tage hatten das Motto „Maria stand auf und machte sich eilig auf den Weg“ (Lk 1,39) – jene Stelle also, die wir soeben im Evangelium gehört haben.

Die Bibelstelle eröffnet den Besuch Marias bei ihrer Verwandten Elisabeth. Kurz zuvor verkündete ihr der Engel, dass sie die Mutter Jesu wird. Wir können nachempfinden, wie überwältigt Maria wohl von der Botschaft des Engels war.Nachdem sich die Nachricht etwas „gesetzt“ hatte, wollte sie ihrer Verwandten davon erzählen. „Eilig“ (vgl. Lk 1,39) machte sich Maria auf den Weg. Die Freude über die unglaubliche Nachricht des Engels verlieh der jungen Frau regelrecht Flügel. Sie spürte, dass sich da etwas ganz Großes anbahnte. Sie brauchte jemand, um ihre Erfahrung zu teilen und sich darüber auszutauschen. Wer wäre dazu besser geeignet als ihre Verwandte Elisabeth! Von ihr berichtete ja auch der Engel, dass sie trotz ihres hohen Alters noch ein Kind erwartet (vgl. Lk 1,36).

Maria ist uns Vorbild im Glauben. An ihr sehen wir: Gott setzt in Bewegung. Der christliche Glaube ist also nichts „für das Sofa“. Wir Christen haben keinen „Couch-Glauben“, vielmehr sollen wir „Glaubens-Coaches“ sein! Glaube will sich mitteilen, Glaube sucht die Begegnung. Sprechen wir miteinander über das, was uns im Glauben bewegt! Seien wir begeisterte Boten für Jesus Christus! Legen wir Zeugnis ab von der Hoffnung, die uns erfüllt (vgl. 1 Petr 3,15)! Ducken wir uns als Christen nicht weg! Wir brauchen mit dem Evangelium nicht „hinterm Berg zu halten“. Es geht um mutige Verkündigung in glaubwürdigen Worten und sozial-karitativen Werken. Der christliche Glaube ist nicht exklusiv, sondern integrativ und inklusiv. Die Kirche ist kein „Club von Auserwählten“. Sie hat den Auftrag, für alle da zu sein. Der Papst hat in Lissabon klar gesagt: Die Kirche ist offen para todos, für alle, wirklich für alle!

Der Papst erklärt uns, was Glaube heißt. Mit Blick auf das Evangelium sagt er, dass der Glaube „das Bewusstsein für die Geschichte Gottes mit uns“1 ist. Gott hat einen Plan für jede und jeden von uns. Mehr noch: Wir sind „Gottes Projekt“. Ist das nicht fantastisch! Schlucken wir diese Aussage nicht einfach nur unzerkaut hinunter, sondern lassen wir sie ruhig einmal „auf der Zunge zergehen“: Ich bin ein Projekt Gottes! Verkosten und genießen wir diesen Satz in vollen Zügen! Die christliche Botschaft hat nichts „moralinsaures“ an sich, sie schmeckt keineswegs „bitter“ oder liegt gar „schwer im Magen“. Als Mensch sind wir Abbild Gottes, daher von ihm gewollt und geliebt – so wie wir sind. Eine jede und jeder von uns mit allen Talenten und Stärken, aber auch mit jedweden Schwächen und Sünden.

Von Maria können wir glauben lernen: Glaube ist das tiefe Vertrauen in den Anruf Gottes und seine Zusagen. Je mehr wir darin eintauchen und wie Maria unser „Ja!“ zu Gottes Heilsplan sagen, umso mehr spüren wir, dass seine Gegenwart uns wandeln und unser Herz erwärmen kann. An manchen Tagen wird uns gar eine übergroße Freude geschenkt, weil wir darauf vertrauen dürfen, dass Gott mit uns ist und uns niemals verlässt - komme, was wolle. In diesem Vertrauen steht Maria auf und macht sich eilig auf den Weg.

Als sie bei Elisabeth im Haus des Zacharias ankommt und die beiden Frauen sich begegnen, geschieht etwas Außergewöhnliches, Wunderbares: Wie der Evangelist Lukas berichtet, „hüpft“ (Lk 1,41) das Kind, das Elisabeth in ihrem Leib trägt, als es den Gruß Mariens hört. Es ist der noch nicht geborene Johannes der Täufer, der diesen „Freudensprung“ tut. Schon vor seiner Geburt spürt er die Gegenwart Jesu, des künftigen Messias, in Marias Bauch. Es ist eine der schönsten Stellen in der Bibel: Elisabeth grüßt voll Demut ihre Verwandte Maria als „Mutter des Herrn“ (Lk 1,43) und spricht sie selig, weil sie geglaubt hat, was Gott ihr sagen ließ.

Damit ist für Maria endgültig klar, dass der Engel die Wahrheit gesagt hat; sie ist dazu bestimmt, die Mutter des Erlösers zu sein. Ich denke, keiner von uns kann sich vorstellen, was das für ein Gefühl für Maria gewesen sein muss zu erkennen, dass sie auserwählt war, Mutter Gottes zu werden. Unvorstellbar, kaum zu glauben! Doch es überkam sie deswegen keine Furcht. Gottes Gegenwart flößt keine Angst ein. Im Gegenteil: Maria stimmt das Magnificat an, das Loblied der Kleinen und Schwachen, das Loblied derer, die groß sind vor Gott.

Mit Gott an der Seite braucht uns für die Zukunft nicht bang zu sein. Das ist auch die zentrale Botschaft, die Papst Franziskus den Jugendlichen beim feierlichen Abschlussgottesdienst des Weltjugendtages mitgab. Eindrücklich klingt in mir noch die Stimme des Papstes nach: Habt keine Angst. Mehrmals rief er ihnen in seiner Predigt zu: „Fürchtet euch nicht. Habt Mut! Fürchtet euch nicht.“2

Durch das Ja Mariens ist für uns Menschen der Weg zum Heil eröffnet. Ohne die Zustimmung Marias hätte Gott einen anderen Weg wählen müssen, um bei uns Menschen anzukommen. Schon in der Frühzeit der Kirche stoßen wir auf die Gegenüberstellung von Eva und Maria – quasi in der von Paulus aufgespannten Parallele von Adam und Christus. Wir haben sie eben in der zweiten Lesung im Brief an die Korinther gehört (vgl. 1 Kor 15,21f.).3 So wurde die „neue Eva“ zur„Porta caeli“, zur „Pforte des Himmels“, wie Maria in einer der Anrufungen in der sogenannten Lauretanischen Litanei bezeichnet wird.

Mit dem heutigen Tag „Mariä Himmelfahrt“, richtiger dem Fest der (leiblichen) Aufnahme Mariens in den Himmel, schließt sich quasi der Kreis: Wie Maria sich für den Himmel öffnet, öffnet sich nach Jesu Tod und Auferstehung der Himmel für Maria! An ihr hat sich verwirklicht, was wir glaubend und hoffend erwarten dürfen – das „Durchschreiten der Himmelspforte“ und damit der Eintritt in die Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott. So ist „der Himmel“ ein Synonym, eine Umschreibung für den Ort, der ganz von der Liebe Gottes erfüllt ist, einen Ort umhüllt von Frieden und Glückseligkeit, Raum und Zeit enthoben.

Dahin sind wir als Menschen unterwegs, zum Ziel unserer irdischen Pilgerschaft, denn „unsere Heimat ist im Himmel“, wie Paulus an die Philipper schreibt. „Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter, der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes“ (Phil 3,20f.). Auferstehung bedeutet also nicht die Auflösung des Leibes ins Nichts. Das ist die großartige Nachricht des heutigen Festes: Am Beispiel der vollerlösten Maria zeigt sich die leibliche Auferstehung wie ein „Rettungsanker“ unserer eigenen Vollendung. So ist Maria als unser aller Mutter nicht nur Vor-bild, sondern zugleich Voraus-bild unseres Glaubens.

Die Glaubenswahrheit, die wir feiern, ist ein klares Bekenntnis zur Leiblichkeit des Menschen; damit zur Materie und zur Schöpfung insgesamt. Sie bekräftigt die Größe und Würde des Menschen, da der Leib an der Würde des Seins nach dem Bilde Gottes teilhat (vgl. KKK 364). Daraus ergibt sich also keineswegs eine irgendwie geartete Leibfeindlichkeit, wie sie dem Christentum gerne nachgesagt wird. Daraus folgt: Es geht im christlichen Glauben um die Sorge für den ganzen Leib, eine Achtsamkeit in geistig-seelischer Weise wie auch die Verantwortung in körperlicher Hinsicht – für sich selbst wie auch anderen Gegenüber.

Das schließt die Gesundheitsvorsorge genauso ein wie eine umfassende Gesundheitsversorgung; die Sicherstellung einer ausreichenden Verpflegung sowie das Verbot jedweder körperlichen Ausbeutung. Achten und pflegen wir in rechtem Maße unseren Leib. „Tu deinem Leib etwas Gutes, damit deine Seele Lust hat, darin zu wohnen“, mahnte bereits die hl. Teresa von Avila (1515-1582).

Erheben wir unsere Stimme gegen alle Formen psychischer Diskriminierung wie auch physischer Gewalt. Als „Weltkirche-Bischof“ höre ich, dass gerade Mädchen und Frauen weltweit diejenigen sind, die gesellschaftlich wie familiär am meisten unter der Last von Unterdrückung und ungerechten Strukturen, von ethnischen Konflikten und nationalen Kriegen zu leiden haben. Unterstützen wir alle Bemühungen der kirchlichen Hilfswerke und tun wir das Unsrige etwa in unserem Konsumverhalten, den Formen „moderner Sklaverei“ wirksam entgegenzutreten, die meist mit einer körperlichen Ausbeutung einhergehen.

Einen weiteren, letzten Gedanken, liebe Festgemeinde, will ich an meine bisherigen Ausführungen anfügen: Wir feiern heute am Tag des Patroziniums dieser Kirche ihr 500jähriges Weihejubiläum. Seit einem halben Jahrtausend ist dieser Kirchenraum für die Höchstädter ein Ort, an dem sie zusammenkommen, um ihren Glauben zu bekennen und die Nähe Gottes suchen – in der Feier der Eucharistie und in der Stille des Gebetes.

Glaube braucht feste Orte (und auch regelmäßige Zeiten!), an denen er gepflegt und „tiefer“ wachsen kann. Im geschäftigen Treiben der Stadt ist die Pfarrkirche für die Menschen seit jeher ein „Ruhepol“, eine „geistliche Oase“ zum Auftanken, ein „Kraftort“ für den Alltag, kurzum: ein „himmlischer Ort“. Mag durch das Gerüst aufgrund der noch laufenden Renovierungsmaßnahmen der „Blick in den Himmel“ äußerlich verhangen sein, so steht er uns innerlich doch offen. Zudem öffnet sich mit jeder Eucharistiefeier der Himmel. So leben wir in der Spannung zwischen dem bereits angebrochenen Himmelreich und seiner Vollendung am Ende der Zeiten.

Sind nicht die äußerlichen Umstände hier im Kirchenraum ein Sinnbild für die derzeitige kirchliche Situation im Allgemeinen und für unser eigenes Leben im Speziellen? Die Renovierung ihres „Schmuckstückes“ fordert der ganzen Pfarrei viel ab. Sie wissen: So ein Großprojekt gelingt nur, wenn alle zusammenhelfen und sich je nach ihren Möglichkeiten einbringen. Eine Renovierung braucht ihre Zeit und fordert von allen Verständnis und vor allem auch Geduld.

Nicht anders ist es mit Blick auf die derzeitig laufenden Reformprozesse innerhalb der Kirche. Wir können hier keine „lehramtliche Revolution“ erwarten, Kirche ist kein „Start-up vom Nullpunkt“. Wir sind auch keine „deutsche Kirche“,auch wenn die „Deutschlandfahnen“ auf den Gerüsten das suggerieren. Es geht immer um die Einbettung der Themen in den gesamtkirchlichen Kontext – in die Weite der Weltkirche und des Evangeliums. Zudem: Wir können nicht nur anStrukturfragen „herumbasteln“ und uns die „Köpfe heiß reden“. Mit der äußeren Renovierung muss auch eine innere geistliche Erneuerung einhergehen. Insofern ermutige ich Sie: Nutzen Sie diese „Durststrecke“, um aus den „Quellen geistlichen Lebens“ das „erfrischende Wasser“ zu schöpfen!

Liebe Höchstädter, ich bin gewiss, dass die Arbeiten in der nächsten Zeit nicht nur zu einem guten Ende kommen, sondern die Kirche in ihrem Erscheinungsbild wieder „zur Perfektion gebracht“ wird. So hat es bereits 1680 der Höchstädter Stadtschreiber Johann Jakob Pistorius mit Blick auf die Fertigstellung der Kirche ausgedrückt. Ich habe großen Respekt vor dieser Gemeinschaftsleistung und danke ausdrücklich für Ihre Mühen und allen Einsatz – organisatorisch, körperlich wie auch finanziell.

Mit der Gottesmutter Maria haben Sie ein leuchtendes Vorbild im Glauben und eine starke Fürsprecherin bei Gott im Himmel an Ihrer Seite. Vertrauen wir auf die Zusage Gottes und erwarten wir voll Freude und Zuversicht, was uns über den „Seher Johannes“ mitgeteilt ist: „Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: Jetzt ist er da, der rettende Sieg, die Macht und die Königsherrschaft unseres Gottes und die Vollmacht seines Gesalbten.“ (Offb 12,10ab)

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1 Papst Benedikt XVI./Papst Franziskus: Der Herr sei mit euch. Meditationen zum Lukas-Evangelium, Leipzig 2015, S. 21.

2 Vgl. Papst Franziskus: Predigt bei der heiligen Messe zum 37. Weltjugendtag am 6. August 2023. 3 Deutlicher entfaltet Paulus die Gegenüberstellung von Adam und Christus in Röm 5,12-21.